Re: Meer
Verfasst: Mi 24. Jun 2015, 00:13
Die Sonne zog ihre Bahn am Himmel und so schlug schon bald die Stunde zur Dämmerung. Myra tat in der Zeit gut daran, sich von der Crew bestmöglich fernzuhalten. Wie einer der Männer es treffend formulierte, war dem Mädchen eine Laus über die Leber gelaufen. Tasanis Briefe waren für die Nuke aber auch ziemlich harter Tobak und sie müsse sich nun erst darüber im Klaren werden, was dies für die Zukunft bedeuten sollte. Wie sollte sie handeln? Dem Mädchen, welches es mit ihrer Forschung nur gut meinte einen Brief schreiben? Zu riskant. Man würde ihn vielleicht abfangen und Myra wusste noch nicht genau, inwiefern man sie im Auge behielt. Myra wollte Tasani nicht in die ganze Sache mit rein reiten. Aber die Hobby-Archäologin würde auch nicht locker lassen. Wenn Myra sich nicht meldete, dann würde sie nur umso mehr schreiben. Nachharken, bis die erlösende Antwort kam. Dennoch müsste die Nuke sie irgendwie dazu bringen, ihre Nachforschungen vorerst einzustellen. Tasani und ihr Team waren zur Zeit eine riesige Zielscheibe und wenn auch noch raus kam, dass Myra mit einer der Archäologen - leider nicht wortwörtlich - unter einer Decke steckte... ja dann würde es richtig rappeln. Ihre Feinde hätten Myra kurzerhand an den Eiern und sie schätzte Tasani auch nicht so ein, als könne sie einer Folter lange widerstehen. Und wer weiß, auf welche Geheimnisse das Team noch stoßen könnte? Bei aller Verantwortung, welcher sich Myra geschickt immer entzog. Aber DAS konnte und würde sie nicht zulassen. Manche Dinge gehören begraben und dazu zählte ihre Abstammung. Was sich fast zwei Jahrzehnte in der Welt nicht blicken ließ, das existierte auch nicht. Eine recht kurzsichtige Einstellung. So auch Myras weiteres Vorgehen. Sie würde abwarten. Bald würde ein weiterer Brief einflattern und da sie nun einen super Funkempfänger besaß, würde Marik ihr dies sicher direkt mitteilen. Vielleicht könnte er in ihrem Namen an Tasani einen Brief schicken. Um ein Treffen kam sie aber nicht herum. Diese Gedanken machte sich die Nuke bis zur Abenddämmerung. Bis zu dem am Mittagstisch angekündigten Meeting.
Die Mannschaft fand sich zu einigen Krügen Rum für die Besprechung in den Speiseraum ein. Es war laut und polternd, bis der Kapitän und sein innerer Zirkel für Ruhe sorgten. Sie legten ihren Plan für den bevorstehenden Überfall der Crew da. So wie dieser vorgetragen wurde, klang es eher nach einem Routine Akt. Schließlich war Myra die Einzige, die irgendwie bei der Planung untergebracht werden musste. Nah ran, Flagge verstecken und einer der wenigen Shinobi unter den Piraten nahm dem Beuteschiff den Wind aus den Segeln. Dann mit Harpunen festigen und entern. Eigentlich ziemlich simpel. Und denkt dran Leute: Wir sind soziale Piraten. Wir töten keinen der Nichtshinobi in der Crew, machen keine Gefangenen und die Segelfähigkeit des Schiffes wird nicht sabotiert. Wir wollen schließlich, dass die armen Seppel nur von ihrer Ware erleichtert werden und auch wieder nach Hause kommen. Im Raum wurde laut gelacht, obwohl jeder zu wissen schien, dass dies die offiziellen Regeln an Bord waren. Wer sich nicht daran hielt wurde abgemahnt und beim zweiten Vergehen hochkant über Bord geschmissen. Myra wurde mit diesen Regeln bereits vertraut gemacht. Noch immer erstaunte sie dies bei einer recht tüchtigen Piratenbande. Aber wie der Kapitän es auch sagte: Sie waren soziale Piraten. Äääh... Boss? Kam es nun von einem Mann inmitten all der anderen. Vielleicht sind an Bord gar keine Shinobi. Die dürfen doch gar nicht mehr übersetzen. Dann können wir uns doch eigentlich die ganzen Sicherheitsmaßnahmen sparen, oder? Ein leises Gemurmel stimmte dem Mann zu. Sie haben Söldner angeheuert. Vermutlich sogar mehr als gewöhnliche Shinobi. Die sind in größeren Gruppen billiger und machen einem genauso viel Ärger. Der "Aha"-Effekt machte auf der einen Sitzbank die Runde, als Myra ihre Sicht der Dinge offen legte. Der Kapitän und sein Maat stimmten dem Mädchen zu. Myra mochte noch jung sein, aber mit Söldnern hatte sie Erfahrung. Und kein Handelsschiff war so dämlich, ohne Rückendeckung auf ein Piraten verseuchtes Meer hinaus zu segeln. Es wurden bestimmte Aufgaben an einzelne Personen verteilt, dann wurde die Bande von der Besprechung entlassen. Nur Myra blieb mit der Organisation des Schiffes zurück. Was hat euer Pirat denn für eine Aufgabe beim Überfall? Fragte das Mädchen den Kapitän. Statt ihm antwortete sein Maat, welcher bei seinen Worten regelrecht in Erinnerungen zu schwelgen schien. Ooaah Brunjo ist ein echter Rammbock. Den haben wir immer als erstes entern lassen und der hat gleich drei Stück mit einem Hieb niedergemäht! Der Kapitän nickte zustimmend und Myra verzog leicht das Gesicht. Wie ein Bär in die Meute zu stürzen gehörte nicht zu ihren üblichen Angriffsstrategien. Ihr Blick wanderte über das Deck, die Segelmasten hinauf und blieb am Ausguck hängen. Mit einem Finger deutete sie in dessen Richtung. Ich würde mich eher da oben postieren und euren Leuten mit Pfeil und Bogen den Rücken freihalten. Ich bin nicht die typische Vorarbeiterin. Bie beiden Männer warfen sich einen kurzen skeptischen Blick zu, dann schüttelte der Kapitän den Kopf. Nein, das haben wir einmal versucht. Die haben uns kurzerhand den Ausguck mit einem Feuerball runter gerissen und uns so fast das halbe Schiff abgefackelt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte nochmals den Kopf. Myra kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Ich bin die beste Bogenschützin, die ihr kriegen könnt. Wenn ich von dort oben schieße, wird keiner auch nur auf den Gedanken kommen, den Ausguck anzugreifen. Nun tauschten die Männer zwei fragende Blicke aus. Der Maat zuckte mit den Schultern. Mit einem leichten Lächeln antwortete die Kapitän. Also gut, Mädchen. Du kriegst deine Chance. Stell dich in den Ausguck, sobald das Schiff gesichtet wurde und erschieße jeden Söldner, der dir vor's Visier läuft. Auf mein Kommando kommst du aber runter und gehst an Deck des Beuteschiffes. Dort wirst du von mir oder einem meiner Maats weitere Befehle erhalten. Myra nickte. Hieß es nur noch zum Beuteschiff aufholen.
Mit der Dämmerung fiel allmählich die Nacht herein und schon bald färbten sich Himmel und Meer schwarz. Es war etwas bewölkt und man sah nur wenige glimmende Sterne am Himmel. Myra hatte die letzten Stunde genutzt, um sich Pfeile aus ihren Materialien herzustellen. Sie würde an diesem Abend einige verschießen und wer wüsste, wie viele sie noch in Kiri bräuchte. Außerdem lenkte es sie von weit unangenehmeren Gedanken ab. Es war die Ruhe vor dem Sturm, die die Piraten in ihren Klauen hielt. Sie alle warteten nur auf das erlösende Signal. Dass das Schiff endlich vom Ausguck gesichtet wurde. Die Flagge wurde eingezogen, solange es noch hell war und bis auf wenige Fackeln waren sämtliche Lichter an Bord erloschen. Man würde sie in dieser Nacht nicht sehen können. Erst, wenn sie nah am Schiff dran war und dann war es auch schon zu spät. Beuteschiff in Sicht! Ertönte es aus der Höhe und sofort schien das zuvor schläfrige Schiff hellwach. Alle Mann auf Posten! Brüllte der Kapitän vom Oberdeck. Aber die Bande war eigentlich nicht auf sein Kommando angewiesen. Es war lediglich eine Förmlichkeit, denn diese Besatzung lief bei einem Raubüberfall wie eine gut geölte Maschine. Myra huschte in Windeseile die Strickleiter zum Ausguck nach oben und löste den vorherigen Mann ab. Das Mädchen ging die Hocke und spähte über den Holzrand des Geländer hinweg, den Bogen bereits gezogen und mit fest im Griff mit angelegtem Pfeil. Die Kapuze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen, ebenso ein Tuch über den Mund bis zur Nase. Man würde sie in der Dunkelheit nicht sehen. Noch nicht mal dann, wenn sie sich aus der Deckung begeben und zu schießen begonnen hat. Vielleicht einen Kilometer von ihnen entfernt, sah Myra das hell erleuchtete Beuteschiff. Ihre scharfen Augen registrierten neben den herkömmlichen Matrosen einige gut ausgerüstete Männer patrouillieren. Das mussten die Söldner sein. Myra wartete und mittlerweile war es mucksmäuschenstill an Bord der Roten Maid geworden. Sie lauschte dem sanften Wellengang unter dem schweren Holz und bereitete sich mental auf den Kampf vor. Die Nuke atmete tief und bedächtig. Sie nahm sich einige Momente, ehe sie erneut Richtung Schiff lugte. Sie waren nun ganz nah dran. Die Segel des Handelsschiff hingen flach herab. Als hätte man ihnen sämtlichen Wind genommen. Dies entsprach auch der Wahrheit. Nun erkannte Myra die Söldner auch deutlicher. Jeder von ihnen trug einen hellorangen Schulterschutz mit nicht erkennbarer Symbolik. Ähnelte einem Vogel. Die Schwarzhaarige kannte Symbol, sowie Farbe nicht. Aber so könnte sie die Söldner einfach von den Zivilisten unterscheiden. Mittlerweile waren sie mit dem Schiff so nah an dem anderen, dass man es nicht länger übersehen konnte und es wurde Alarm geschlagen. Es wurde laut auf dem Handelsschiff und dutzende Söldner strömten an Deck, hingegen die Zivilisten den Weg unter Deck wählten. Nicht jeder Söldner war gleich ein Shinobi, doch meist hatten größere Gruppen mindestens zwei Hände voll von denen. Die müsste Myra raus suchen und ausschalten. Einer offenbarte sich sogleich an Oberdeck, einen Bogenschützen neben sich. Myra begab sich aus ihrer Deckung, spannte den Bogen und ließ eine Sekunde später den Pfeil von der Sehne zischen. Für den Shinobi kam der Pfeil unerwartet und wie aus dem Nichts. Bei der Dunkelheit wäre es selbst einem Shinobi nicht vergönnt, Pfeile zu sehen. So durchschlug er kurzerhand die Kehle des Mannes, er taumelte mit gurgelndem Stöhnen zurück und krachte leblos zu Boden. Sein Schützenkollege schien viel zu überrumpelt, um den zweiten, ihn ebenfalls in der Kehle treffenden Pfeil überhaupt ahnen zu können. Sie befanden sich nun direkt neben dem Schiff und die Harpunen mit Enterharken schossen in dessen Seite und fixierten beide Schiffe aneinander. Nun begann der eigentliche Kampf. Mit weiten Sprüngen und Seilschwüngen brachten sich die Piraten polternd und grölend auf das feindliche Schiff. Von Söldner herzlich empfangen, klirrte Eisen Funkensprühend aufeinander, Holz zerbarst und aus dem zuvor jubelnden Rufen der Enterer wurde nun erbittertes Kampfgeschrei und der Klang von Mord und Totschlag hallte über die See. Blut floss wie Wasser im Fluss und Myra war maßgeblich daran beteiligt. Sie hörte den Kapitän laut Befehle bellen. Sie sollten die Zivilisten an Deck zusammentreiben. Damit sie vermutlich nicht in das Gefecht gerieten. Es waren überraschend viele Söldner an Bord, mehr, als man bei einem Handelsschiff dieser Größe vermuten würde. Der Großteil der Besatzung musste aus Söldnern bestehen. Die Piraten waren darauf getrimmt, den Großteil der Männer nur bewusstlos zu schlagen und im Ernstfall zu töten. Das mussten sie auch, sonst würde das Schiff wohl seinen Weg nicht mehr nach Hause finden. Myra jedoch erschoss die meisten ihrer Ziele. Waren auch hauptsächlich die Shinobi. Sie hinderte die Männer daran, verheerende Fuuton-Techniken zu wirken, die die Bande über Bord stürzen ließe oder mit ihren Suiton-Techniken fortspülte. Natürlich hatten sie Mädchen mittlerweile ausgemacht und ebenfalls Angriffe versucht, doch wurden sie entweder von ihr oder einem Piraten aufgehalten. Eine bessere Deckung aus der Distanz konnte die Mannschaft am heutigen Abend nicht haben. Immer wieder strömten neue Wellen von Söldnern an Deck, doch bald ebbte die Flut ab und die Kämpfe wurden weniger. Eine Gruppe Zivilisten wurde zum Bug des Schiffes getrieben, darunter auch verletzte Söldner und von einigen Piraten im Zaum gehalten. Myra erschoss ein letztes Ziel, als eine Reflektion sie blendete. Der Kapitän gab ihr das Signal zum runter kommen. das Mädchen zog einen ihrer Enterharkenpfeile, befestigte Seil daran und schoss es zu einem feindlichen Mast. Das andere Ende des Seil befestigte sie an dem Mast des Ausgucks. Mit einem Stück Stoff rutschte sie nun vom Ausguck aus das Seil hinab auf das andere Schiff. Doch einen der letzten Shinobi hatte sie wohl übersehen, denn eine Fuuton-Technik raste geradwegs auf das Mädchen zu und sie konnte nur so schnell reagieren, dass sie sich zur Seite schwang und das Seil los ließ. Dennoch erfasste der scharfe Wind sie an der rechten Seite und am Oberschenkel. Das Seil wurde zerschnitten und sie landete mit den Füßen voran auf dem Brustkorb eines Söldners, warf ihn schwer nach Luft schnappend zu Boden und rollte sich selbst ab, um direkt wieder auf die Füße zu kommen. Für eine Untersuchung der Wunden blieb keine Zeit, denn eine Suiton Technik folgte dem vorherigen Angriff auf sie. Die Schwarzhaarige konnte dieser mit einer Rolle zur Seite ausweichen und nur nach wenigen Sekunden, spickte sie ihren Gegner mit Pfeilen. Einige wehrte ab, bis sie zu schnell kamen und schlussendlich doch ins Schwarze trafen. Hörbar atmete die Nuke aus und schaute an ihrem Körper hinab. Nur wenig Blut trat aus ihren leichten Schnittwunden. Glück gehabt. Hinter einem Mast in Deckung hockend, fand Myra den Kapitän und hockte sich daneben. Alles in Ordnung? Fragte er ziemlich außer Atem. Auch er blieb nicht ganz vom Kampf verschont. Zierten Blutergüsse und Schnittwunden sein Gesicht und seinen Körper. Er musste den Angriff auf Myra mitangesehen haben. Sie nickte nur und er fuhr fort. Ich will, dass du unter Deck gehst, in den Frachtraum und dort die Söldner wegräumst, sofern nicht alle an Deck gekommen sind. Und schick Zivilisten nach oben, wenn du welche findest. Meine Männer durchsuchen bereits die Kajüten. Myra nickte abermals und kam der Anweisung nach. Sich unter Schwerthieben wegduckend und einem Mann das Knie brechend, huschte das Mädchen die Treppe zum Frachtraum hinab.
Fackeln tauchten den sonst tiefschwarzen Frachtraum in ein schummriges Licht und die Schatten der Kisten tanzten zu den Flammen. Lautlos schritt das Mädchen in Schwarz die letzten Stufen hinab, den Bogen selbstverständlich schussbereit in der Hand. Wie sie es sonst tat, suchte Myra dieses Mal nicht direkt Deckung hinter einer Kiste oder einem Stützbalken. Stattdessen schlich sie weiter in den Frachtraum hinein und blickte sich verschwörerisch um. Es war beunruhigend still unter Deck. Einzig die Laute vom tobenden Kampf und das Poltern der Schritte auf dem Holz durchbrachen die Stille. Sämtliche Söldner müssten an Deck gestürmt sein. Zivilisten versteckten sich hier auch nicht, dafür fand man sie zu schnell, wenn man jemanden runter schickte. Und den Kopf der Söldnerbande hatte das Mädchen auch noch nicht gesehen. Nicht, dass die oft besonders erkenntlich wären unter ihren Leuten. Aber sie konnte sich kaum vorstellen, dass ausgerechnet er die wohl wertvollste Ware an Bord unbeaufsichtigt ließ. Der Kapitän hatte ihr davon erzählt, dass dieses Handelsschiff Schmuckstücke verfrachten würde. Natürlich getarnt unter nutzlosem Stoff, Leder und ähnlichen Dingen. Es gab also ein geheimes Lager. Myra vermutete einen separaten Raum. Das war ihre eigentliche Aufgabe hier unten. Beutegut sicherstellen. Es ging nicht um Zivilisten oder Söldner. Nur, wenn sie gerade auf dem Weg lagen. Deswegen hielt sich das Mädchen auch nicht bedeckt, sondern schlich voran. Auf eine Falle war sie gefasst, auch von Shinobi. Aber die Schwarzhaarige glaubte nicht daran, dafür waren einfach zu viele Söldner an Deck. Ungefähr auf der Hälfte des Raumes blieb das Mädchen instinktiv stehen. es war so beängstigend still unter Deck und das Feuer der Fackel ließ schaurige Schatten über das schwarze Mädchen spielen. Es vergingen einige quälend lange Momente, als ihre Stimme, leicht gedämpft von dem Tuch über dem Mund, aber laut und fest erklang. Ich höre dich atmen. Mit diesen Worten fuhr sie herum und ließ den Pfeil von der Sehne in eine dunkle Nische zischen. Ein kleiner Aufschrei bestätigte ihre Annahme und ein Junge von schmächtiger Statur und mit weichen Gesichtszügen taumelte benommen vor Schreck aus seinem Versteck zwischen den Kisten. Mit vor Angst geweiteten Augen starrte er Myra an und hielt ihr mit stark zitternden Händen die Klinge entgegen. Seine Atmung ging hastig und die Flammen spiegelten sich in den aus der Baskenmütze lösenden Schweißperlen auf seiner Stirn. Nun wandte sich Myra endgültig um und starrte den Jungen mit kaltem Blick an. Er trug trotz seiner leichten Gewandung einen Schulterschutz der Söldner und musste einige Jahre jünger als Myra sein, überragte sie aber um wenige Zentimeter. Eine Zeit lang standen beide einfach da und starrten sich gegenseitig an. Dann verzog der Söldnerjunge das Gesicht zu einer hässlichen Grimassen und stürzte mit einem hellen Schrei und erhobenen Schwertes auf die Nuke zu. Er war kein Shinobi. Drum gab sich Myra auch nicht viele Mühe, seinen Angriff abzublocken. Sie schlug ihm mit Kraft gegen das Handgelenk, entzog ihm so das Schwert und rammte den Jungen mit dem Rücken gegen den Mast hinter sich. Er schrie und wimmerte. Hatte sie ihm mit einem gezielten Handkantenschlag das Handgelenk gebrochen und hielt ihn nun mit festem Griff um den Hals an den Mast gedrückt. Er bohrte seine Fingernägel in ihren Ärmel und krächzte unter dem Druck ihrer Hand. Wo versteckt ihr die Ware?! Zischte sie barsch und wehrte mit der freien Hand einen Tritt ab. Wild schüttelte er den Kopf und obwohl er versuchte sie zu unterdrücken, so standen ihm die Tränen in den geröteten Augen. Myra ließ ihre versteckte Klinge ausfahren und hielt ihm die scharfe und glitzernde Spitze ins Gesicht, berührte ihn damit sanft an der Wange. Wo - ist - die Ware?!Der Schweiß rann dem Jungen fast wie ihm Wasserfall über die Schläfen und er japste nun vor Angst. Doch wieder schüttelte er den Kopf, wenn auch nur leicht, damit er sich nicht an der Klinge schnitt. Er kniff die Augen zusammen, dachte wohl, nun sei es um ihn geschehen. Kurz kam Myra seinem Gesicht mit ihrem näher, durch bohrte ihn mit ihrem Blick. Dann ließ sie ihre Klinge sinken und durchschnitt lediglich den Lederriemen, mit welchem er sich den Schulterschutz am Körper befestigt hatte. Die Nuke warf das nutzlose Teil weg, ließ von seinem Hals ab, aber packte ihn grob am Arm. Verwirrt ließ er sich einfach von ihr mitziehen und stolperte gegen die Treppenstufen, als sie in Richtung Ausgang warf. Verängstigt drehte er sich auf den Rücken und starrte das in Schwarz gekleidete Mädchen an. Geh an Deck und zu den Zivilisten. Myras Stimme war voll unbekannter Kälte und ihr Blick sagte dem Jungen auch nur: Letzte Chance. Schwer schluckend kroch er mehr die Treppen hinauf, als er ging und Myra widmete sich wieder ihrer Suche.
Wie sie vermutete befand sich am hintersten Ende des Lagerraums eine Tür, getarnt hinter mit Stoffen gefüllten Kisten. Myra schob sie beiseite und stieß die klemmende Tür mit einem harten Fußtritt nach innen auf. Der Bogen lag abermals schussbereit in ihren Händen und ehe sie eintrat, ließ das Mädchen einen prüfenden Blick durch den Raum schweifen. Erst dann passierte sie die Schwelle zur Tür und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sich niemand dahinter befand. Sie sah in jede dunkle Ecke des kleinen Raumes, doch war keine Person zu finden. Drum betrachtete die Nuke nun die Ware genauer. Sie öffnete mit dem Pfeil eine Kiste und im Schein der Fackeln glitzerten ihr die schönsten Juwelen entgegen. Smaragde, Rubine, Granate. Alles schien vertreten. Das war es, wonach die Schwarzhaarige suchte. Sie konnte zum Kapitän zurückkehren. Die Kampfgeräusche über ihr waren auch weites gehend verstummt. Während sie aber die kleine hölzerne Kiste wieder verschloss, löste sich eine zuvor unsichtbare Gestalt aus der Wand hinter ihr und die Tür fiel ins Schloss. Alarmiert fuhr Myra herum und riss gerade rechtzeitig den Bogen hoch, um ein anfliegendes Kunai abzuwehren. Das gäbe eine neue, schöne Kerbe im Holz. Gefiel dem Mädchen gar nicht, aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen. Der Mann verwickelte sie kurzerhand in einen schnellen und intensiven Nahkampf. Auf die kurze Distanz war es ihr unmöglich, den Bogen halbwegs zu spannen und ihr blieb dafür auch keine Zeit. Sie war viel mehr damit beschäftigt, die schnellen Schläge des Söldneranführers abzuwehren. In einer ausweichenden Drehung legte sie sich den Bogen wieder um den Körper, steckte den Pfeil zurück und zog ihr Katare aus der Halterung an ihrem Schenkel. Die Waffen klirrten aneinander. Früh stellte sich heraus, wer Kräfte mäßig überlegen war und Myra schob den Mann langsam Richtung Wand. Er hielt dagegen, doch brachte es nichts. Dann schlug er ihr mit einer schnellen Geste den Fuß vom Boden. Sie geriet ins taumeln, nutzte dies aber, um von dem anderen Fuß abzuspringen und ihm beide gegen den Brustkorb zu stoßen. Der Mann hustete unter der Kraft ihres Tritts und wurde gegen die Wand geschleudert, hingegen Myra dies zum Abstoß nutzte und mit einem Salto rückwärts wieder sicher auf den Füßen landete. Als die Nuke den Blick wieder hob, sah sie nur etwas grelles auf sich zufliegen und spürte beim Treffer, wie es durch ihren gesamten Körper kribbelte. Raiton. Für einen kurzen Moment erhellte diese Technik den gesamten Raum. Als das Licht verblasste und ein kurzer Aufschrei des Mannes ertönte, lag der Mann am Boden, Myra über ihm gebeugt und seinen einen Arm mit einem Kunai am Boden fixiert. Den andere hielt sie selbst fest und seine Beine sollten keine Probleme bereiten, da ihr Knie in seiner Lendengegend ruhte und bei einer falschen Bewegung herbe Schmerzen verursachen könnte. Sie drückte ihm die versteckte Klinge an den Hals. Ein hauchdünne Schnittwunde zierte nun Myras Wange und ihr Tuch vor dem Mund war verschwunden. Mit ihren grünen Augen starrte sie den vor Schmerz keuchenden Mann unter sich an. Er war vielleicht Mitte dreißig und seine Augen offenbarten eine Menge Erfahrung. Den Druck der Klinge an seiner Kehle spürend, atmete der Söldner nur seicht und bewegte sich keinen Millimeter. Verbissen starrte er dem Mädchen ins Gesicht und spuckte ihr die kommenden Worte regelrecht entgegen. Die Piraten rekrutieren auch immer früher, wie? Was hat ein Kind wie du an Bord von Piraten verloren? Haben sie dich verschleppt, oder machst du eine schwierige Phase in der Pubertät durch? Kalt und verachtend starrte sie den Mann unter sich an. Es ist nicht das erste Mal, dass man Myra für deutlich jünger schätzt, als sie ist. Trotz ihrer Narben, die die meisten als Tätowierungen erkennen. Kurz ließ das Mädchen die Worte im Raum vergehen, ehe sie ihm zischend antwortete. Wie ich das sehe schnappen sich die Söldner die Kinder noch früher. Oder fand der Junge es cool, sich den Schulterschutz anzulegen und ein bisschen Söldner zu spielen? Augenblicklich weiteten sich die Augen des Söldneranführers und für einen kurzen Moment blitzte in ihnen nackte, panische Angst. Doch wurde sie schnell durch unhaltbaren Zorn ersetzt und trotzt der Klinge an seinem Hals, welche nun einen dünnen, roten Strich an seinen Hals zog, erhob er den Kopf und brüllte: Meine Tochter! Was hast du Missgeburt ihr angetan?! Myra erschrak innerlich und auch in ihrem Blick deutete sich die Verwirrung an. Der Junge war ein Mädchen? Oooh... Aber die kläffenden Worte des Mannes, brachten die Schwarzhaarige schnell zurück in die Realität. ANTWORTE! Grimmig verzog Myra das Gesicht. Deinem Abkömmling geht es gut! Die ist bei den Zivilisten und die werden soweit in Ruhe gelassen! Für einen Moment glimmte noch Zorn und Unglauben in dem Gesicht des Mannes, dann beruhigte er sich langsam wieder. Er glaubte ihr nach wie vor nicht, doch wollte der Mann sich lieber darin wägen, dass sein Kind noch lebte. Und was jetzt? Seine Stimme bebte unter der Anspannung. Vermutlich rechnete der Mann nun mit seinem Tod. Aber Myra dachte, dass der Kapitän den Anführer gerne einmal sehen wollte. Aber nicht bevor sie ihm ein paar Fragen stellen konnte. Ihr kommt aus dem Mizu no Kuni. Irgendwelche nennenswerten Vorfälle in der letzten Zeit in Reich und Kirigakure? Sie war nicht mal dort und könnte bereits erste Informationen bekommen. Einen besseren Anfang konnte die Mission nicht nehmen. Abwertend musterte der Mann die Nuke für einen Moment. Warum sollte ich dir überhaupt was erzählen? Tücke blitzte in Myras Ausdruck auf. Weil es deiner Tochter NOCH gut geht. Die Betonung dieses einen Wortes ließ den Mann kreidebleich werden und erfüllte ihn wieder mit unfassbaren Hass. Aber Myra saß am längeren Hebel. Er senkte die Stimme ein wenig. Die Händler erzählen, dass in Kiri merkwürdige Männer und Frauen in schwerer Rüstung aufgetaucht sind. Viele. Myra verengte die Augen. Wie viele? Er schüttelte vorsichtig und unwissend den Kopf. Weiß ich nicht genau. Einige sagen ein ganzes Heer, andere so groß wie die gesamte Bevölkerung des Dorfes. Aber es müssen mindestens hundert Stück sein, sicher noch mehr. Myra nickte und verarbeitete die Informationen. Wie sehen die Rüstungen aus? Wieder konnte er keine konkrete Antwort geben. Ich hab sie nicht gesehen, aber sie sollen bestimmte Symbolik haben und sie müssten aus einer Gemeinschaft stammen. Das war viel mehr, als sich das Mädchen tatsächlich erhofft hatte. Aber damit war die Quelle auch versiegt und es wurde Zeit, zu der Mannschaft zurückzukehren. So löste Myra mit einem Ruck das Kunai aus Boden und Arm des Mannes, woraufhin er kurz vor Schmerz aufstöhnte und sie zog ihn auf die Beine. Weiterhin mit der Klinge an der Kehle und auf den Rücken verschränkten Armen, brachte sie den Mann an Deck.
Dort wurde praktisch die erste Party bereits geschmissen, denn die Piraten hatten sich voll guter Laune zusammen gefunden und ein Liedchen zu ehren ihres Sieges angestimmt. Mit Grog und Rum in den Bechern wurde angestoßen, ganz gleich, wie verletzt manche unter den Männern waren. Kurz grölte die Bande, als das Mädchen mit dem Anführer an Deck trat und der Kapitän gesellte sich sogleich zu ihnen. Und? Hast du was gefunden? Myra nickte in Richtung Frachtraum. Am hintersten Ende des Frachtraums ist das Beutegut. Laut polternde Jubelschreie ließen für einen Moment die Luft erzittern. Einige trommelten wild mit den Füßen auf den Boden, um ihrer unhaltbaren Freude mehr Ausdruck zu verleihen. Die in einem Kreis von Piraten zusammen eingepferchten Zivilisten ließen fast alle betrübt die Köpfe hängen, manchen kullerten gar einzelne Tränen über die Wangen. Myra stieß den Söldner zum Kapitän und dieser packte den Mann an den Handgelenken. Alles klar, Jungs! Das war großartig! Im nächsten Hafen gehen zwei Runden Rum auf mich! Erneutes grölen und Jubelschreien. Einige der Piraten begannen sogar schon schräge Töne auf ihren Fiedeln und Flöten zu spielen. Ein guter Zeitpunkt für Myra, um ihr kleinen Wunden zu lecken und sich noch ein wenig Ruhe und Schlaf zu gönnen. Drum trat sie schweigend an einigen Männern vorbei, aber nicht ohne eine unanständige Bewegung aus dem Augenwinkel unter ihrer Kapuze wahrzunehmen. Der Söldneranführer versuchte einen letzten, verzweifelten Angriff. Er nutzte die Gunst der Stunde, sich aus dem Griff des unachtsamen Kapitäns zu winden, ein Kunai zu ziehen und dem Piraten dieses mit einem Ausfallschritt direkt in den Schädel zu rammen. Doch bevor er das tat, steckte ihm selbst ein kleiner Bolzen im Kopf. Mit einem Mal wurde es ganz still an Bord und es schien beinahe so, als würde der Mann mit weit aufgerissenen Augen in Zeitlupe zu Boden kippen. Der anfängliche Schreck saß der Bande selbst dann noch in den Knochen, als der Söldner bereits einige Momente leblos auf dem Holz lag. Myra ließ die kleine Armbrust ihrer Phantomklinge wieder einklappen. Verstört wanderte der Blick des Kapitäns erst zu dem toten Mann am Boden, dann zu Myra. Ein kurzes Raunen ging durch die Menge, dann brachte ein schriller Schrei wieder Schweigen in die Reihen. VATER! Eine schmächtige Gestalt stürzte aus dem Ring der Piraten, welche die Zivilisten einkesselten und ließ sich vor dem toten Mann auf die Knie fallen. Die anfängliche Befängnis der Piraten hielt unter dieser Reaktion aber nicht lange und sogleich waren zwei mit Muskeln bepackte Männer zur Stelle und griffen dem vermeintlichen Jungen an den Oberarmen. Nein! Lasst mich! Kreischte sie und wehrte sich wie wild, bis die Baskenmütze vom Kopf segelte. Kinnlanges Haar eröffnete sich und umrahmten das Gesicht des Mädchens. Nun sah sie tatsächlich weiblich aus. Ihr Blick traf Myra. Heiße Tränen brannten sich über die weichen Wangen. Ungezügelter Hass, das Verlangen nach Rache und Wut. All dies sah Myra in dem Blick der jungen Tochter, welche gerade ihren geliebten Vater verloren hatte. Und all diese Gefühle galten allein Myra. Die Schwarzhaarige aber betrachtete die gesamte Szene nur mit kalter, ausdrucksloser Miene, bis sie sich endgültig abwandte und wieder an Bord der Roten Maid ging. Die Verladung der Waren dauerte nicht lange, die Zivilisten und einige verletzte Söldner wurden freigelassen. Die Schiffe trennten sich und für Myra ging es nun Richtung Kirigakure.
TBC: Anderes -> Schwarzmarkt -> Standort: Mizu no Kuni
Die Mannschaft fand sich zu einigen Krügen Rum für die Besprechung in den Speiseraum ein. Es war laut und polternd, bis der Kapitän und sein innerer Zirkel für Ruhe sorgten. Sie legten ihren Plan für den bevorstehenden Überfall der Crew da. So wie dieser vorgetragen wurde, klang es eher nach einem Routine Akt. Schließlich war Myra die Einzige, die irgendwie bei der Planung untergebracht werden musste. Nah ran, Flagge verstecken und einer der wenigen Shinobi unter den Piraten nahm dem Beuteschiff den Wind aus den Segeln. Dann mit Harpunen festigen und entern. Eigentlich ziemlich simpel. Und denkt dran Leute: Wir sind soziale Piraten. Wir töten keinen der Nichtshinobi in der Crew, machen keine Gefangenen und die Segelfähigkeit des Schiffes wird nicht sabotiert. Wir wollen schließlich, dass die armen Seppel nur von ihrer Ware erleichtert werden und auch wieder nach Hause kommen. Im Raum wurde laut gelacht, obwohl jeder zu wissen schien, dass dies die offiziellen Regeln an Bord waren. Wer sich nicht daran hielt wurde abgemahnt und beim zweiten Vergehen hochkant über Bord geschmissen. Myra wurde mit diesen Regeln bereits vertraut gemacht. Noch immer erstaunte sie dies bei einer recht tüchtigen Piratenbande. Aber wie der Kapitän es auch sagte: Sie waren soziale Piraten. Äääh... Boss? Kam es nun von einem Mann inmitten all der anderen. Vielleicht sind an Bord gar keine Shinobi. Die dürfen doch gar nicht mehr übersetzen. Dann können wir uns doch eigentlich die ganzen Sicherheitsmaßnahmen sparen, oder? Ein leises Gemurmel stimmte dem Mann zu. Sie haben Söldner angeheuert. Vermutlich sogar mehr als gewöhnliche Shinobi. Die sind in größeren Gruppen billiger und machen einem genauso viel Ärger. Der "Aha"-Effekt machte auf der einen Sitzbank die Runde, als Myra ihre Sicht der Dinge offen legte. Der Kapitän und sein Maat stimmten dem Mädchen zu. Myra mochte noch jung sein, aber mit Söldnern hatte sie Erfahrung. Und kein Handelsschiff war so dämlich, ohne Rückendeckung auf ein Piraten verseuchtes Meer hinaus zu segeln. Es wurden bestimmte Aufgaben an einzelne Personen verteilt, dann wurde die Bande von der Besprechung entlassen. Nur Myra blieb mit der Organisation des Schiffes zurück. Was hat euer Pirat denn für eine Aufgabe beim Überfall? Fragte das Mädchen den Kapitän. Statt ihm antwortete sein Maat, welcher bei seinen Worten regelrecht in Erinnerungen zu schwelgen schien. Ooaah Brunjo ist ein echter Rammbock. Den haben wir immer als erstes entern lassen und der hat gleich drei Stück mit einem Hieb niedergemäht! Der Kapitän nickte zustimmend und Myra verzog leicht das Gesicht. Wie ein Bär in die Meute zu stürzen gehörte nicht zu ihren üblichen Angriffsstrategien. Ihr Blick wanderte über das Deck, die Segelmasten hinauf und blieb am Ausguck hängen. Mit einem Finger deutete sie in dessen Richtung. Ich würde mich eher da oben postieren und euren Leuten mit Pfeil und Bogen den Rücken freihalten. Ich bin nicht die typische Vorarbeiterin. Bie beiden Männer warfen sich einen kurzen skeptischen Blick zu, dann schüttelte der Kapitän den Kopf. Nein, das haben wir einmal versucht. Die haben uns kurzerhand den Ausguck mit einem Feuerball runter gerissen und uns so fast das halbe Schiff abgefackelt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte nochmals den Kopf. Myra kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Ich bin die beste Bogenschützin, die ihr kriegen könnt. Wenn ich von dort oben schieße, wird keiner auch nur auf den Gedanken kommen, den Ausguck anzugreifen. Nun tauschten die Männer zwei fragende Blicke aus. Der Maat zuckte mit den Schultern. Mit einem leichten Lächeln antwortete die Kapitän. Also gut, Mädchen. Du kriegst deine Chance. Stell dich in den Ausguck, sobald das Schiff gesichtet wurde und erschieße jeden Söldner, der dir vor's Visier läuft. Auf mein Kommando kommst du aber runter und gehst an Deck des Beuteschiffes. Dort wirst du von mir oder einem meiner Maats weitere Befehle erhalten. Myra nickte. Hieß es nur noch zum Beuteschiff aufholen.
Mit der Dämmerung fiel allmählich die Nacht herein und schon bald färbten sich Himmel und Meer schwarz. Es war etwas bewölkt und man sah nur wenige glimmende Sterne am Himmel. Myra hatte die letzten Stunde genutzt, um sich Pfeile aus ihren Materialien herzustellen. Sie würde an diesem Abend einige verschießen und wer wüsste, wie viele sie noch in Kiri bräuchte. Außerdem lenkte es sie von weit unangenehmeren Gedanken ab. Es war die Ruhe vor dem Sturm, die die Piraten in ihren Klauen hielt. Sie alle warteten nur auf das erlösende Signal. Dass das Schiff endlich vom Ausguck gesichtet wurde. Die Flagge wurde eingezogen, solange es noch hell war und bis auf wenige Fackeln waren sämtliche Lichter an Bord erloschen. Man würde sie in dieser Nacht nicht sehen können. Erst, wenn sie nah am Schiff dran war und dann war es auch schon zu spät. Beuteschiff in Sicht! Ertönte es aus der Höhe und sofort schien das zuvor schläfrige Schiff hellwach. Alle Mann auf Posten! Brüllte der Kapitän vom Oberdeck. Aber die Bande war eigentlich nicht auf sein Kommando angewiesen. Es war lediglich eine Förmlichkeit, denn diese Besatzung lief bei einem Raubüberfall wie eine gut geölte Maschine. Myra huschte in Windeseile die Strickleiter zum Ausguck nach oben und löste den vorherigen Mann ab. Das Mädchen ging die Hocke und spähte über den Holzrand des Geländer hinweg, den Bogen bereits gezogen und mit fest im Griff mit angelegtem Pfeil. Die Kapuze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen, ebenso ein Tuch über den Mund bis zur Nase. Man würde sie in der Dunkelheit nicht sehen. Noch nicht mal dann, wenn sie sich aus der Deckung begeben und zu schießen begonnen hat. Vielleicht einen Kilometer von ihnen entfernt, sah Myra das hell erleuchtete Beuteschiff. Ihre scharfen Augen registrierten neben den herkömmlichen Matrosen einige gut ausgerüstete Männer patrouillieren. Das mussten die Söldner sein. Myra wartete und mittlerweile war es mucksmäuschenstill an Bord der Roten Maid geworden. Sie lauschte dem sanften Wellengang unter dem schweren Holz und bereitete sich mental auf den Kampf vor. Die Nuke atmete tief und bedächtig. Sie nahm sich einige Momente, ehe sie erneut Richtung Schiff lugte. Sie waren nun ganz nah dran. Die Segel des Handelsschiff hingen flach herab. Als hätte man ihnen sämtlichen Wind genommen. Dies entsprach auch der Wahrheit. Nun erkannte Myra die Söldner auch deutlicher. Jeder von ihnen trug einen hellorangen Schulterschutz mit nicht erkennbarer Symbolik. Ähnelte einem Vogel. Die Schwarzhaarige kannte Symbol, sowie Farbe nicht. Aber so könnte sie die Söldner einfach von den Zivilisten unterscheiden. Mittlerweile waren sie mit dem Schiff so nah an dem anderen, dass man es nicht länger übersehen konnte und es wurde Alarm geschlagen. Es wurde laut auf dem Handelsschiff und dutzende Söldner strömten an Deck, hingegen die Zivilisten den Weg unter Deck wählten. Nicht jeder Söldner war gleich ein Shinobi, doch meist hatten größere Gruppen mindestens zwei Hände voll von denen. Die müsste Myra raus suchen und ausschalten. Einer offenbarte sich sogleich an Oberdeck, einen Bogenschützen neben sich. Myra begab sich aus ihrer Deckung, spannte den Bogen und ließ eine Sekunde später den Pfeil von der Sehne zischen. Für den Shinobi kam der Pfeil unerwartet und wie aus dem Nichts. Bei der Dunkelheit wäre es selbst einem Shinobi nicht vergönnt, Pfeile zu sehen. So durchschlug er kurzerhand die Kehle des Mannes, er taumelte mit gurgelndem Stöhnen zurück und krachte leblos zu Boden. Sein Schützenkollege schien viel zu überrumpelt, um den zweiten, ihn ebenfalls in der Kehle treffenden Pfeil überhaupt ahnen zu können. Sie befanden sich nun direkt neben dem Schiff und die Harpunen mit Enterharken schossen in dessen Seite und fixierten beide Schiffe aneinander. Nun begann der eigentliche Kampf. Mit weiten Sprüngen und Seilschwüngen brachten sich die Piraten polternd und grölend auf das feindliche Schiff. Von Söldner herzlich empfangen, klirrte Eisen Funkensprühend aufeinander, Holz zerbarst und aus dem zuvor jubelnden Rufen der Enterer wurde nun erbittertes Kampfgeschrei und der Klang von Mord und Totschlag hallte über die See. Blut floss wie Wasser im Fluss und Myra war maßgeblich daran beteiligt. Sie hörte den Kapitän laut Befehle bellen. Sie sollten die Zivilisten an Deck zusammentreiben. Damit sie vermutlich nicht in das Gefecht gerieten. Es waren überraschend viele Söldner an Bord, mehr, als man bei einem Handelsschiff dieser Größe vermuten würde. Der Großteil der Besatzung musste aus Söldnern bestehen. Die Piraten waren darauf getrimmt, den Großteil der Männer nur bewusstlos zu schlagen und im Ernstfall zu töten. Das mussten sie auch, sonst würde das Schiff wohl seinen Weg nicht mehr nach Hause finden. Myra jedoch erschoss die meisten ihrer Ziele. Waren auch hauptsächlich die Shinobi. Sie hinderte die Männer daran, verheerende Fuuton-Techniken zu wirken, die die Bande über Bord stürzen ließe oder mit ihren Suiton-Techniken fortspülte. Natürlich hatten sie Mädchen mittlerweile ausgemacht und ebenfalls Angriffe versucht, doch wurden sie entweder von ihr oder einem Piraten aufgehalten. Eine bessere Deckung aus der Distanz konnte die Mannschaft am heutigen Abend nicht haben. Immer wieder strömten neue Wellen von Söldnern an Deck, doch bald ebbte die Flut ab und die Kämpfe wurden weniger. Eine Gruppe Zivilisten wurde zum Bug des Schiffes getrieben, darunter auch verletzte Söldner und von einigen Piraten im Zaum gehalten. Myra erschoss ein letztes Ziel, als eine Reflektion sie blendete. Der Kapitän gab ihr das Signal zum runter kommen. das Mädchen zog einen ihrer Enterharkenpfeile, befestigte Seil daran und schoss es zu einem feindlichen Mast. Das andere Ende des Seil befestigte sie an dem Mast des Ausgucks. Mit einem Stück Stoff rutschte sie nun vom Ausguck aus das Seil hinab auf das andere Schiff. Doch einen der letzten Shinobi hatte sie wohl übersehen, denn eine Fuuton-Technik raste geradwegs auf das Mädchen zu und sie konnte nur so schnell reagieren, dass sie sich zur Seite schwang und das Seil los ließ. Dennoch erfasste der scharfe Wind sie an der rechten Seite und am Oberschenkel. Das Seil wurde zerschnitten und sie landete mit den Füßen voran auf dem Brustkorb eines Söldners, warf ihn schwer nach Luft schnappend zu Boden und rollte sich selbst ab, um direkt wieder auf die Füße zu kommen. Für eine Untersuchung der Wunden blieb keine Zeit, denn eine Suiton Technik folgte dem vorherigen Angriff auf sie. Die Schwarzhaarige konnte dieser mit einer Rolle zur Seite ausweichen und nur nach wenigen Sekunden, spickte sie ihren Gegner mit Pfeilen. Einige wehrte ab, bis sie zu schnell kamen und schlussendlich doch ins Schwarze trafen. Hörbar atmete die Nuke aus und schaute an ihrem Körper hinab. Nur wenig Blut trat aus ihren leichten Schnittwunden. Glück gehabt. Hinter einem Mast in Deckung hockend, fand Myra den Kapitän und hockte sich daneben. Alles in Ordnung? Fragte er ziemlich außer Atem. Auch er blieb nicht ganz vom Kampf verschont. Zierten Blutergüsse und Schnittwunden sein Gesicht und seinen Körper. Er musste den Angriff auf Myra mitangesehen haben. Sie nickte nur und er fuhr fort. Ich will, dass du unter Deck gehst, in den Frachtraum und dort die Söldner wegräumst, sofern nicht alle an Deck gekommen sind. Und schick Zivilisten nach oben, wenn du welche findest. Meine Männer durchsuchen bereits die Kajüten. Myra nickte abermals und kam der Anweisung nach. Sich unter Schwerthieben wegduckend und einem Mann das Knie brechend, huschte das Mädchen die Treppe zum Frachtraum hinab.
Fackeln tauchten den sonst tiefschwarzen Frachtraum in ein schummriges Licht und die Schatten der Kisten tanzten zu den Flammen. Lautlos schritt das Mädchen in Schwarz die letzten Stufen hinab, den Bogen selbstverständlich schussbereit in der Hand. Wie sie es sonst tat, suchte Myra dieses Mal nicht direkt Deckung hinter einer Kiste oder einem Stützbalken. Stattdessen schlich sie weiter in den Frachtraum hinein und blickte sich verschwörerisch um. Es war beunruhigend still unter Deck. Einzig die Laute vom tobenden Kampf und das Poltern der Schritte auf dem Holz durchbrachen die Stille. Sämtliche Söldner müssten an Deck gestürmt sein. Zivilisten versteckten sich hier auch nicht, dafür fand man sie zu schnell, wenn man jemanden runter schickte. Und den Kopf der Söldnerbande hatte das Mädchen auch noch nicht gesehen. Nicht, dass die oft besonders erkenntlich wären unter ihren Leuten. Aber sie konnte sich kaum vorstellen, dass ausgerechnet er die wohl wertvollste Ware an Bord unbeaufsichtigt ließ. Der Kapitän hatte ihr davon erzählt, dass dieses Handelsschiff Schmuckstücke verfrachten würde. Natürlich getarnt unter nutzlosem Stoff, Leder und ähnlichen Dingen. Es gab also ein geheimes Lager. Myra vermutete einen separaten Raum. Das war ihre eigentliche Aufgabe hier unten. Beutegut sicherstellen. Es ging nicht um Zivilisten oder Söldner. Nur, wenn sie gerade auf dem Weg lagen. Deswegen hielt sich das Mädchen auch nicht bedeckt, sondern schlich voran. Auf eine Falle war sie gefasst, auch von Shinobi. Aber die Schwarzhaarige glaubte nicht daran, dafür waren einfach zu viele Söldner an Deck. Ungefähr auf der Hälfte des Raumes blieb das Mädchen instinktiv stehen. es war so beängstigend still unter Deck und das Feuer der Fackel ließ schaurige Schatten über das schwarze Mädchen spielen. Es vergingen einige quälend lange Momente, als ihre Stimme, leicht gedämpft von dem Tuch über dem Mund, aber laut und fest erklang. Ich höre dich atmen. Mit diesen Worten fuhr sie herum und ließ den Pfeil von der Sehne in eine dunkle Nische zischen. Ein kleiner Aufschrei bestätigte ihre Annahme und ein Junge von schmächtiger Statur und mit weichen Gesichtszügen taumelte benommen vor Schreck aus seinem Versteck zwischen den Kisten. Mit vor Angst geweiteten Augen starrte er Myra an und hielt ihr mit stark zitternden Händen die Klinge entgegen. Seine Atmung ging hastig und die Flammen spiegelten sich in den aus der Baskenmütze lösenden Schweißperlen auf seiner Stirn. Nun wandte sich Myra endgültig um und starrte den Jungen mit kaltem Blick an. Er trug trotz seiner leichten Gewandung einen Schulterschutz der Söldner und musste einige Jahre jünger als Myra sein, überragte sie aber um wenige Zentimeter. Eine Zeit lang standen beide einfach da und starrten sich gegenseitig an. Dann verzog der Söldnerjunge das Gesicht zu einer hässlichen Grimassen und stürzte mit einem hellen Schrei und erhobenen Schwertes auf die Nuke zu. Er war kein Shinobi. Drum gab sich Myra auch nicht viele Mühe, seinen Angriff abzublocken. Sie schlug ihm mit Kraft gegen das Handgelenk, entzog ihm so das Schwert und rammte den Jungen mit dem Rücken gegen den Mast hinter sich. Er schrie und wimmerte. Hatte sie ihm mit einem gezielten Handkantenschlag das Handgelenk gebrochen und hielt ihn nun mit festem Griff um den Hals an den Mast gedrückt. Er bohrte seine Fingernägel in ihren Ärmel und krächzte unter dem Druck ihrer Hand. Wo versteckt ihr die Ware?! Zischte sie barsch und wehrte mit der freien Hand einen Tritt ab. Wild schüttelte er den Kopf und obwohl er versuchte sie zu unterdrücken, so standen ihm die Tränen in den geröteten Augen. Myra ließ ihre versteckte Klinge ausfahren und hielt ihm die scharfe und glitzernde Spitze ins Gesicht, berührte ihn damit sanft an der Wange. Wo - ist - die Ware?!Der Schweiß rann dem Jungen fast wie ihm Wasserfall über die Schläfen und er japste nun vor Angst. Doch wieder schüttelte er den Kopf, wenn auch nur leicht, damit er sich nicht an der Klinge schnitt. Er kniff die Augen zusammen, dachte wohl, nun sei es um ihn geschehen. Kurz kam Myra seinem Gesicht mit ihrem näher, durch bohrte ihn mit ihrem Blick. Dann ließ sie ihre Klinge sinken und durchschnitt lediglich den Lederriemen, mit welchem er sich den Schulterschutz am Körper befestigt hatte. Die Nuke warf das nutzlose Teil weg, ließ von seinem Hals ab, aber packte ihn grob am Arm. Verwirrt ließ er sich einfach von ihr mitziehen und stolperte gegen die Treppenstufen, als sie in Richtung Ausgang warf. Verängstigt drehte er sich auf den Rücken und starrte das in Schwarz gekleidete Mädchen an. Geh an Deck und zu den Zivilisten. Myras Stimme war voll unbekannter Kälte und ihr Blick sagte dem Jungen auch nur: Letzte Chance. Schwer schluckend kroch er mehr die Treppen hinauf, als er ging und Myra widmete sich wieder ihrer Suche.
Wie sie vermutete befand sich am hintersten Ende des Lagerraums eine Tür, getarnt hinter mit Stoffen gefüllten Kisten. Myra schob sie beiseite und stieß die klemmende Tür mit einem harten Fußtritt nach innen auf. Der Bogen lag abermals schussbereit in ihren Händen und ehe sie eintrat, ließ das Mädchen einen prüfenden Blick durch den Raum schweifen. Erst dann passierte sie die Schwelle zur Tür und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sich niemand dahinter befand. Sie sah in jede dunkle Ecke des kleinen Raumes, doch war keine Person zu finden. Drum betrachtete die Nuke nun die Ware genauer. Sie öffnete mit dem Pfeil eine Kiste und im Schein der Fackeln glitzerten ihr die schönsten Juwelen entgegen. Smaragde, Rubine, Granate. Alles schien vertreten. Das war es, wonach die Schwarzhaarige suchte. Sie konnte zum Kapitän zurückkehren. Die Kampfgeräusche über ihr waren auch weites gehend verstummt. Während sie aber die kleine hölzerne Kiste wieder verschloss, löste sich eine zuvor unsichtbare Gestalt aus der Wand hinter ihr und die Tür fiel ins Schloss. Alarmiert fuhr Myra herum und riss gerade rechtzeitig den Bogen hoch, um ein anfliegendes Kunai abzuwehren. Das gäbe eine neue, schöne Kerbe im Holz. Gefiel dem Mädchen gar nicht, aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen. Der Mann verwickelte sie kurzerhand in einen schnellen und intensiven Nahkampf. Auf die kurze Distanz war es ihr unmöglich, den Bogen halbwegs zu spannen und ihr blieb dafür auch keine Zeit. Sie war viel mehr damit beschäftigt, die schnellen Schläge des Söldneranführers abzuwehren. In einer ausweichenden Drehung legte sie sich den Bogen wieder um den Körper, steckte den Pfeil zurück und zog ihr Katare aus der Halterung an ihrem Schenkel. Die Waffen klirrten aneinander. Früh stellte sich heraus, wer Kräfte mäßig überlegen war und Myra schob den Mann langsam Richtung Wand. Er hielt dagegen, doch brachte es nichts. Dann schlug er ihr mit einer schnellen Geste den Fuß vom Boden. Sie geriet ins taumeln, nutzte dies aber, um von dem anderen Fuß abzuspringen und ihm beide gegen den Brustkorb zu stoßen. Der Mann hustete unter der Kraft ihres Tritts und wurde gegen die Wand geschleudert, hingegen Myra dies zum Abstoß nutzte und mit einem Salto rückwärts wieder sicher auf den Füßen landete. Als die Nuke den Blick wieder hob, sah sie nur etwas grelles auf sich zufliegen und spürte beim Treffer, wie es durch ihren gesamten Körper kribbelte. Raiton. Für einen kurzen Moment erhellte diese Technik den gesamten Raum. Als das Licht verblasste und ein kurzer Aufschrei des Mannes ertönte, lag der Mann am Boden, Myra über ihm gebeugt und seinen einen Arm mit einem Kunai am Boden fixiert. Den andere hielt sie selbst fest und seine Beine sollten keine Probleme bereiten, da ihr Knie in seiner Lendengegend ruhte und bei einer falschen Bewegung herbe Schmerzen verursachen könnte. Sie drückte ihm die versteckte Klinge an den Hals. Ein hauchdünne Schnittwunde zierte nun Myras Wange und ihr Tuch vor dem Mund war verschwunden. Mit ihren grünen Augen starrte sie den vor Schmerz keuchenden Mann unter sich an. Er war vielleicht Mitte dreißig und seine Augen offenbarten eine Menge Erfahrung. Den Druck der Klinge an seiner Kehle spürend, atmete der Söldner nur seicht und bewegte sich keinen Millimeter. Verbissen starrte er dem Mädchen ins Gesicht und spuckte ihr die kommenden Worte regelrecht entgegen. Die Piraten rekrutieren auch immer früher, wie? Was hat ein Kind wie du an Bord von Piraten verloren? Haben sie dich verschleppt, oder machst du eine schwierige Phase in der Pubertät durch? Kalt und verachtend starrte sie den Mann unter sich an. Es ist nicht das erste Mal, dass man Myra für deutlich jünger schätzt, als sie ist. Trotz ihrer Narben, die die meisten als Tätowierungen erkennen. Kurz ließ das Mädchen die Worte im Raum vergehen, ehe sie ihm zischend antwortete. Wie ich das sehe schnappen sich die Söldner die Kinder noch früher. Oder fand der Junge es cool, sich den Schulterschutz anzulegen und ein bisschen Söldner zu spielen? Augenblicklich weiteten sich die Augen des Söldneranführers und für einen kurzen Moment blitzte in ihnen nackte, panische Angst. Doch wurde sie schnell durch unhaltbaren Zorn ersetzt und trotzt der Klinge an seinem Hals, welche nun einen dünnen, roten Strich an seinen Hals zog, erhob er den Kopf und brüllte: Meine Tochter! Was hast du Missgeburt ihr angetan?! Myra erschrak innerlich und auch in ihrem Blick deutete sich die Verwirrung an. Der Junge war ein Mädchen? Oooh... Aber die kläffenden Worte des Mannes, brachten die Schwarzhaarige schnell zurück in die Realität. ANTWORTE! Grimmig verzog Myra das Gesicht. Deinem Abkömmling geht es gut! Die ist bei den Zivilisten und die werden soweit in Ruhe gelassen! Für einen Moment glimmte noch Zorn und Unglauben in dem Gesicht des Mannes, dann beruhigte er sich langsam wieder. Er glaubte ihr nach wie vor nicht, doch wollte der Mann sich lieber darin wägen, dass sein Kind noch lebte. Und was jetzt? Seine Stimme bebte unter der Anspannung. Vermutlich rechnete der Mann nun mit seinem Tod. Aber Myra dachte, dass der Kapitän den Anführer gerne einmal sehen wollte. Aber nicht bevor sie ihm ein paar Fragen stellen konnte. Ihr kommt aus dem Mizu no Kuni. Irgendwelche nennenswerten Vorfälle in der letzten Zeit in Reich und Kirigakure? Sie war nicht mal dort und könnte bereits erste Informationen bekommen. Einen besseren Anfang konnte die Mission nicht nehmen. Abwertend musterte der Mann die Nuke für einen Moment. Warum sollte ich dir überhaupt was erzählen? Tücke blitzte in Myras Ausdruck auf. Weil es deiner Tochter NOCH gut geht. Die Betonung dieses einen Wortes ließ den Mann kreidebleich werden und erfüllte ihn wieder mit unfassbaren Hass. Aber Myra saß am längeren Hebel. Er senkte die Stimme ein wenig. Die Händler erzählen, dass in Kiri merkwürdige Männer und Frauen in schwerer Rüstung aufgetaucht sind. Viele. Myra verengte die Augen. Wie viele? Er schüttelte vorsichtig und unwissend den Kopf. Weiß ich nicht genau. Einige sagen ein ganzes Heer, andere so groß wie die gesamte Bevölkerung des Dorfes. Aber es müssen mindestens hundert Stück sein, sicher noch mehr. Myra nickte und verarbeitete die Informationen. Wie sehen die Rüstungen aus? Wieder konnte er keine konkrete Antwort geben. Ich hab sie nicht gesehen, aber sie sollen bestimmte Symbolik haben und sie müssten aus einer Gemeinschaft stammen. Das war viel mehr, als sich das Mädchen tatsächlich erhofft hatte. Aber damit war die Quelle auch versiegt und es wurde Zeit, zu der Mannschaft zurückzukehren. So löste Myra mit einem Ruck das Kunai aus Boden und Arm des Mannes, woraufhin er kurz vor Schmerz aufstöhnte und sie zog ihn auf die Beine. Weiterhin mit der Klinge an der Kehle und auf den Rücken verschränkten Armen, brachte sie den Mann an Deck.
Dort wurde praktisch die erste Party bereits geschmissen, denn die Piraten hatten sich voll guter Laune zusammen gefunden und ein Liedchen zu ehren ihres Sieges angestimmt. Mit Grog und Rum in den Bechern wurde angestoßen, ganz gleich, wie verletzt manche unter den Männern waren. Kurz grölte die Bande, als das Mädchen mit dem Anführer an Deck trat und der Kapitän gesellte sich sogleich zu ihnen. Und? Hast du was gefunden? Myra nickte in Richtung Frachtraum. Am hintersten Ende des Frachtraums ist das Beutegut. Laut polternde Jubelschreie ließen für einen Moment die Luft erzittern. Einige trommelten wild mit den Füßen auf den Boden, um ihrer unhaltbaren Freude mehr Ausdruck zu verleihen. Die in einem Kreis von Piraten zusammen eingepferchten Zivilisten ließen fast alle betrübt die Köpfe hängen, manchen kullerten gar einzelne Tränen über die Wangen. Myra stieß den Söldner zum Kapitän und dieser packte den Mann an den Handgelenken. Alles klar, Jungs! Das war großartig! Im nächsten Hafen gehen zwei Runden Rum auf mich! Erneutes grölen und Jubelschreien. Einige der Piraten begannen sogar schon schräge Töne auf ihren Fiedeln und Flöten zu spielen. Ein guter Zeitpunkt für Myra, um ihr kleinen Wunden zu lecken und sich noch ein wenig Ruhe und Schlaf zu gönnen. Drum trat sie schweigend an einigen Männern vorbei, aber nicht ohne eine unanständige Bewegung aus dem Augenwinkel unter ihrer Kapuze wahrzunehmen. Der Söldneranführer versuchte einen letzten, verzweifelten Angriff. Er nutzte die Gunst der Stunde, sich aus dem Griff des unachtsamen Kapitäns zu winden, ein Kunai zu ziehen und dem Piraten dieses mit einem Ausfallschritt direkt in den Schädel zu rammen. Doch bevor er das tat, steckte ihm selbst ein kleiner Bolzen im Kopf. Mit einem Mal wurde es ganz still an Bord und es schien beinahe so, als würde der Mann mit weit aufgerissenen Augen in Zeitlupe zu Boden kippen. Der anfängliche Schreck saß der Bande selbst dann noch in den Knochen, als der Söldner bereits einige Momente leblos auf dem Holz lag. Myra ließ die kleine Armbrust ihrer Phantomklinge wieder einklappen. Verstört wanderte der Blick des Kapitäns erst zu dem toten Mann am Boden, dann zu Myra. Ein kurzes Raunen ging durch die Menge, dann brachte ein schriller Schrei wieder Schweigen in die Reihen. VATER! Eine schmächtige Gestalt stürzte aus dem Ring der Piraten, welche die Zivilisten einkesselten und ließ sich vor dem toten Mann auf die Knie fallen. Die anfängliche Befängnis der Piraten hielt unter dieser Reaktion aber nicht lange und sogleich waren zwei mit Muskeln bepackte Männer zur Stelle und griffen dem vermeintlichen Jungen an den Oberarmen. Nein! Lasst mich! Kreischte sie und wehrte sich wie wild, bis die Baskenmütze vom Kopf segelte. Kinnlanges Haar eröffnete sich und umrahmten das Gesicht des Mädchens. Nun sah sie tatsächlich weiblich aus. Ihr Blick traf Myra. Heiße Tränen brannten sich über die weichen Wangen. Ungezügelter Hass, das Verlangen nach Rache und Wut. All dies sah Myra in dem Blick der jungen Tochter, welche gerade ihren geliebten Vater verloren hatte. Und all diese Gefühle galten allein Myra. Die Schwarzhaarige aber betrachtete die gesamte Szene nur mit kalter, ausdrucksloser Miene, bis sie sich endgültig abwandte und wieder an Bord der Roten Maid ging. Die Verladung der Waren dauerte nicht lange, die Zivilisten und einige verletzte Söldner wurden freigelassen. Die Schiffe trennten sich und für Myra ging es nun Richtung Kirigakure.
TBC: Anderes -> Schwarzmarkt -> Standort: Mizu no Kuni